Der Spielmann – Hintergrund

Dieses Buch verdanken meine Leser einem Zufall. Vor einigen Jahren war ich auf Lesereise in der Gegend von Karlsruhe, als just mal wieder die Lokführer streikten. Ich saß in einer kleinen Stadt namens Bretten fest und kam nicht mehr heim. Sämtliche Mietautos Deutschlands befanden sich bereits in den Händen gewiefter Geschäftsreisender, die wohl schon früher als ich den Braten gerochen hatten. Auch alle Busse waren bereits ausgebucht.
Also machte ich aus der Not eine Tugend. Ich verlängerte meinen Hotelaufenthalt, lieh mir ein Fahrrad aus und erkundete den schönen Kraichgau. Auf diese Weise kam ich in einen winzigen Ort namens Knittlingen. Es gab dort eine alte Steinkirche, einen winzigen Kirchplatz, der den Namen ‚Platz‘ eigentlich nicht verdient, und daneben ein Haus, auf dem eine Plakette angebracht war. Darauf stand: Geburtshaus von Dr. Johannes Faust, 1480 bis

1540 Verwundert stieg ich vom Fahrrad ab und trat näher. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer gedacht, dass Faust nur eine Sagengestalt war. Sollte es ihn wirklich gegeben haben? Neben Fausts Geburtshaus befand sich ein klei nes Museum, das glücklicherweise offen hatte. Ich ging hinein und lernte dort einen Quacksalber, Astrologen, Wahrsager, Alchimisten, Scharlatan, weisen Doktor und listigen Beschwörer kennen, der um das Jahr 1500 gelebt und nach seinem Tod bei einem alchimistischen Experiment eine erstaunliche internationale Karriere gemacht hatte — und das, obwohl es nur eine Handvoll Quellen über ihn gibt.
In diesem Moment wusste ich, dass ich einen Roman über diese deutscheste aller Sagengestalten schreiben würde.
Seitdem bin ich Faust durch ganz Deutschland und darüber hinaus gefolgt. Ich besuchte die Orte, an denen er Spuren hinterlassen hatte, ver tiefte mich in das Lehrwesen der alten Heidelberger Universität und reiste über die Alpenpässe bis nach Venedig. Um das Tempo der damaligen Zeit nachzuempfinden, war ich oft mit dem E-Bike unterwegs. Das gab mir die Möglichkeit, vormittags eine gehörige Strecke zurückzulegen und nachmittags meine Rechercheergebnisse zusammenzufassen. Auf diese Weise bin ich bislang einige hundert Kilometer gefahren, und es werden sicher noch viel mehr werden. Faust war eben ein Reisender …

Geschrieben habe ich dieses Buch zum größten Teil am Ammersee in einem Schäferwagen, den mir ein Schreiner aus der Schwäbischen Alb nach meinen Vorstellungen gebaut hat. Mit alten Fenstern und Speichenrädern, ganz aus Holz, nur beim Ofen habe ich mich für Gas statt Kohle entschieden. (Faust hätte es vermutlich genauso gemacht, er war seiner Zeit ja schon damals voraus.) Auf diese Weise überkam mich gelegentlich das Gefühl, mit Faust und seinem Lehrmeister Tonio in dessen Gauklerwagen über die alten Poststraßen des Reichs zu rumpeln, immer unterwegs, ohne festes Ziel — begleitet von schrecklichen Kreuzschmerzen.

Nun, zumindest eines weiß ich jetzt, nach all den Monaten bei Schnee, Regen, Hagel und Sonnenschein in meinem winzigen, zugigen, und trotzdem sehr kuschligen Schäferwagen: So ein moderner Caravan-Camper mit Klimaanlage, Chemie-Klo und vier Kochplatten birgt durchaus gewisse Vorteile. Fausts Geist hätte ich jedoch darin nie gefunden.