Meine erste Geschichte veröffentlichte ich, bevor ich richtig schreiben konnte. Mein Großvater, der beste Geschichtenerzähler der Welt, erzählte uns Enkeln immer die unglaublichen Abenteuer von der Puppe und dem Teddybär. Die beiden paddeln des Nachts, wenn alle schlafen, in der Badewanne mit Kochtöpfen herum oder springen vom Küchentisch in Kissenberge. Bei uns zu Hause habe ich dann meine eigenen Geschichten von der Puppe und dem Teddybär auf Kassetten aufgenommen und an Verwandte verschenkt. Ich war ziemlich stolz, als ich hörte, dass mein großer Cousin das Band in der Schule seinen Klassenkameraden vorgespielt hatte. Meine ersten Zuhörer! Ich gab der Kassette den schmissigen Titel „Die Kassette zum gerne hören“. Die zweite Seite ist übrigens nicht mehr so gut. Mir fiel nichts mehr ein, und ich begann die lateinischen Begriffe von Haiarten aus meinem Tierlexikon vorzulesen. Ich hoffe, ich habe in meinen Büchern nicht mehr derartige Hänger.

Schon in der Grundschule habe ich gerne geschrieben und Geschichten erfunden. Ich habe Witze aus Illustrierten ausgeschnitten und zu Zeitungen zusammengeklebt, mir mit meiner Mutter Gedichte ausgedacht und im Keller meiner Oma eine Geisterbahn konzipiert (die leider nie zum Einsatz kam). Mit zwölf Jahren folgte dann eine Art literarisches Schlüsselerlebnis.

Mein bester Freund Wolfgang erzählte mir im alten Wohnwagen meiner Eltern von einem Spiel aus Amerika. Es ging darin um Zwerge, Elfen und Zauberer, man dachte sich selbst Geschichten aus, die man zusammen mit anderen am Tisch nachspielte. In dem Augenblick, als ich von diesem Spiel hörte, war ich davon besessen. Dieses Spiel war praktisch für mich erfunden worden!

Seit meiner Jugend bin ich seitdem vom Rollenspiel-Virus infiziert, und damit meine ich nicht diese neuen Computerspiele à la World of Warcraft, sondern das gute alte Tisch-Rollenspiel. Jahrelang habe ich mir Abenteuer ausgedacht, ich habe tragische und witzige Protagonisten erfunden und stundenlang meinen Freunden Geschichten erzählt, in denen sie als Hobbits, Halbriesen und Schwarzmagier mitspielten. Mein Erzählrekord liegt bei 18 Stunden am Stück, damals noch ohne Alkohol und mit viel Cola. Wenn Sie wollen, dass Ihren Zuhörern da nicht die Augen zufallen, müssen Sie schon ziemlich spannend erzählen können. Ich würde jedem Schriftsteller deshalb empfehlen, in seiner Freizeit Tisch-Rollenspiele zu spielen. Eine bessere Übung zum unterhaltsamen Schreiben gibt es nicht.

Meine Facharbeit zum Abitur war dann konsequenterweise auch eine Fantasy-Kurzgeschichte. Weil meinem Deutschlehrer das nicht ausreichte, sollte ich noch einen analytischen Teil anhängen. Ich bin damit vermutlich der einzige Autor, der sein eigenes Werk interpretieren musste. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir absolut sicher, dass ich Schriftsteller werden würde, wenn auch kein hochtrabender Thomas Mann. Ich verehrte Stephen King, H.P. Lovecraft und Wolfgang Holbein. Bis heute will ich Bücher schreiben, die man wie einen guten Hamburger auf einen Happs wegputzt. Bücher, die man am Strand liest, und wenn man mit der Hälfte fertig ist, reißt man sie in der Mitte durch und gibt die erste Hälfte seiner Freundin. Bücher, die wie gutes Kino sind, mit viel Popcorn. In der Pforte meiner Zivildienststelle schrieb ich weiter Fantasy-Kurzgeschichten. Es kam sogar zu einer ersten Veröffentlichung, die jedoch fast daran scheiterte, dass ich die betreffende Computerdatei nicht auf einer Diskette speichern konnte. Der Verleger der Zeitschrift war dann so freundlich, die Geschichte als Brief anzunehmen und von seiner Sekretärin abtippen zu lassen. Bis heute sind Computer für mich eher ein Hindernis als eine kreative Erweiterung, aber wenigstens kann ich meine Word-Dateien jetzt alleine abspeichern.

Ich trug mich schließlich für das Studium der Germanistik ein, nur um festzustellen, dass dort zwar sehr viel geredet, aber kaum geschrieben wird. Ein Semester lang brütete ich über einem Templer-Roman, der sich über drei Zeitebenen erstreckte und schließlich nach dreißig Seiten in der Schublade verschwand. Ansonsten schrieb ich weiter Kurzgeschichten, kleine Gedichte und Liedtexte für unsere grandiose Deutschrock-Band „Pretzls & Punch“.

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt erzählte mir ein Bekannter von einer gewissen Deutschen Journalisten Schule. Die Beschreibung klang so, dass ich mir vorstellen konnte, hier die Schriftstellerei zu erlernen. Ich bewarb mich mit einer rührenden, von Hand geschriebenen Reportage mit dem Titel „Weihnachtsfeier im Altenheim“ (von Computern hatte ich nach wie vor keine Ahnung) und wurde wider Erwarten genommen. Am ersten Unterrichtstag musste ich feststellen, dass alle anderen 29 Kommilitonen bereits unzählige Zeitungspraktika absolviert hatten. Ich hingegen sang in einer Rockband und plante einen Fantasy-Roman.

Es folgten harte Lehrjahre, in der ich zwar das Handwerk des Journalismus erlernte, mich von meinem eigentlichen Ziel, dem Romanschreiben, jedoch immer weiter entfernte. Ich brachte ein Krimi-Hörspiel zustande, konzipierte ein Kinderspiel und schrieb ein Theaterstück, mit dem ich als Regisseur einige höflich beklatschte Aufführungen hatte. Ansonsten war mein tägliches Brot eher der knackige Zwanzigzeiler als die epische Breite. Ich ging zum Radio, wurde Vater, wechselte zum Fernsehen, heiratete. Mit anderen Worten: Ich wurde erwachsen, und der Traum vom Schreiben wurde blasser und blasser. Es machte mich ein wenig unglücklich, aber auch nicht so viel, dass ich selbst etwas dagegen unternommen hätte.

Das änderte sich, als ich für den Bayerischen Rundfunk eine längere Sendung über meine Ahnen, die Schongauer Scharfrichter, produzierte. Schon während der Recherche merkte ich, dass die Figur des Henkers eine ideale, zwiespältige Romanfigur war. Über die Scharfrichterei war in Deutschland kaum etwas bekannt, beim Lesen wissenschaftlicher Bücher stieß ich auf Anekdoten und Geschichten, die eigentlich nur darauf warteten, in einen Roman gegossen zu werden. Ich wusste: Dies wird mein erstes Buch, selbst wenn ich es mir nur als selbst gedrucktes Papierbündel unter den Weihnachtsbaum legen würde.

Jeder Mensch braucht für seinen Erfolg eine gute Portion Glück. Mein Glück war, dass ich über drei Ecken einen Agenten kennen lernte, der von meiner Idee überzeugt war. Es dauerte fast ein Jahr, in dem ich abends schrieb, ohne dass ich wusste, ob der Traum vom ersten Buch wirklich in Erfüllung gehen würde. Als der Anruf kam, dass der ullstein-Verlag interessiert sei, befand ich mich mit meinen Kindern gerade in der Garderobe eines Schwimmbads. Ich musste raus gehen und tief Luft holen. Es war, als würde man meine Spielfigur wieder auf Start stellen.

Mein Freund Wolfgang (der mit den Rollenspielen) hat nachher zu mir gesagt, es sei doch immer klar gewesen, dass ich Schriftsteller werde. Eigentlich schon, seitdem er mich aus Grundschultagen kennt. Es brauche halt manchmal ein wenig länger, um rauszufinden, was man wirklich will.

Ich bin froh, dass ich es in diesem Leben noch geschafft habe.